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Ihr Fachanwalt für IT-Recht

Vorsicht bei freier Mitarbeit - sie könnte eine Straftat sein

Sind die Freelancer, Crowdworker und anderen „freien Mitarbeiter“, die Sie unterstützen, wirklich selbstständig oder doch nur „scheinselbständige" Arbeitnehmer* - so dass Sie sich strafbar machen?

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=d022c0d7efa321afb30ec103ea38da37&nr=133617&pos=0&anz=1

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 23.03.2023 - 1 StR 188/22) zeigt auf, unter welchen Voraussetzungen bei "freier Mitarbeiter" auch bei Freiberuflern sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen vorliegen. Im dem BGH zur Entscheidung vorliegenden Fall ging es um Rechtsanwälte, die als freie Mitarbeiter in einer Rechtsanwaltskanzlei beschäftigt waren. Tatsächlich brachten die Rechtsanwälte ihre gesamte Arbeitskraft ein, erhielten eine feste Vergütung und trugen kein unternehmerisches Risiko. Der BGH hat den vorinstanzlichen Schuldspruch des Kanzleiinhabers wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, in Form von Sozialversicherungsabgaben, gemäß § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) bestätigt. 

Die vom Gericht angewandten Kriterien zur Abgrenzung von Selbstständigkeit und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen kann auf andere freiberufliche Tätigkeiten übertragen werden. Aus unserem Kanzleialltag im IT-Bereich sind uns viele vertraglichen Gestaltung mit Webdesignern, Softwareentwicklern, IT-Consultants, usw. bekannt, die als „freie Mitarbeiter“, „Freelancer“ oder „Crowdworker“ tätig sind. 

Für die Einordnung kommt es auf das Gesamtbild der Arbeitsleistung und insbesondere auf die folgenden Kriterien an: den Umfang der eingebrachten Arbeitskraft, den Einsatz von eigenem Personal, das Ausmaß der Weisungsgebundenheit und das Mittragen des unternehmerischen Risikos. 

Unter diesen Gesichtspunkten wird im Einzelfall zu prüfen sein, wie beispielsweise ein projektbezogen arbeitender Webdesigner einzuordnen ist. Erhält er ein festes Grundgehalt für die Projektdauer? Bringt er in dieser Zeit seine gesamte Arbeitskraft für das Projekt auf? Bestimmt der Auftraggeber darüber wann, wo und wie zu arbeiten ist? Ist er während dieser Zeit berechtigt Tätigkeiten für andere Auftraggeber auszuführen?

Das Urteil könnte zu einer neuen Bewertung der bisher gelebten Praxis führen. Auftraggeber sollten prüfen, ob sie nicht doch als Arbeitgeber eines sozialversicherungspflichten Beschäftigungsverhältnisses zu betrachten sind. Die damit einhergehenden Risiken dürfen keineswegs unterschätzt werden. Wie an der vorliegenden Gerichtsentscheidung deutlich wird, führt das Vorenthalten der Sozialversicherungsbeiträge zur Strafbarkeit. Gemäß § 266a Abs. 1 StGB wird dieses Vorenthalten mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. „Bedingter Vorsatz“ reicht insoweit aus, d.h. soweit ein Arbeitgeber erkennt, dass es zumindest möglich sein könnte, das Beitragspflichten bestehen und er keine Klärung herbeiführt, dürfte dies schon ausreichen. 

Selbst wenn kein „Schaden“ entstanden ist, weil der (vermeintlich freie) Mitarbeiter Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zu den Sozialversicherungen gezahlt hat (beispielsweise im Wege freiwilliger Mitgliedschaft in den gesetzlichen Versicherungen), liegt eine Strafbarkeit vor. Das Entstehen eines Schadens ist keine Tatbestandsvoraussetzung, maßgeblich ist allein, woher die Zahlung kam. Die geleisteten Zahlungen können sich lediglich strafmildernd auswirken.  

Im Fall des Vorsatzes verjähren vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge in dreißig Jahren und Lohnsteuernachzahlungen in zehn Jahren. Bei fahrlässigem Handeln gelten jeweils Verjährungsfristen von vier Jahren. Neben diesen unter Umständen immensen Rückzahlungsbeträgen folgen auch arbeitsrechtliche Konsequenzen. Sind die „freien Mitarbeiter“ nicht nur sozialrechtlich „Beschäftigte“, sondern auch aus arbeitsrechtlicher Sicht „Arbeitnehmer“, was in den häufigsten Fällen identisch zu beurteilen ist, stehen diesen auch entsprechen Rechte wie beispielsweise Kündigungsschutz oder Urlaubsabgeltung zu. Eine frühzeitige Überprüfung ist daher unbedingt anzuraten.

*Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag das generische Maskulinum verwendet.